Between Shade and Darkness – De
Pädagogisches Begleitheft zur Ausstellung:
Between Shade and Darkness
Das Schicksal der Juden Luxemburgs zwischen 1940 und 1945
(Dezember 2020)
Liebe Lehrerinnen und Lehrer,
MemoShoah Luxemburg und das nationale Resistenzmuseum bedanken für Ihr Interesse an der Ausstellung über das Schicksal der Juden Luxemburgs von 1940 bis 1945.
Wir versuchen, in Verbindung mit der geschichtlichen Erinnerungsarbeit, auch einen Beitrag zur „éducation à la citoyenneté“ zu leisten indem wir, ausgehend von dem Vergangenen, den Anspruch haben die Wahrnehmung zu schärfen und zu einem differenzierteren Verständnis der aktuellen Geschehnisse vor allem mit Blick auf die Menschenrechte beizutragen.
Der Bezug dieser Ausstellung „Between SHADE and DARKNESS“, der Erlebnisse der Juden Luxemburgs von 1940 bis 1945, zum heutigen Alltag liegt wohl auf der Hand. Dem blutigen Attentat auf die Redaktion von Charlie-Hebdo im Januar 2015 folgten zuviele weitere u.a.in Paris, Barcelona, Nizza, Berlin, Brüssel, Manchester, Pittsburgh, Christchurch, Halle, Hanau, kürzlich wieder Nizza und Wien sowie die weltweit wieder verstärkt auftretenden antisemitischen und rassistischen Vorfälle geben Anlass zur Besorgnis.
Es war sicher auch kein Zufall, daß die Vereinten Nationen im Januar 2015 zum ersten Mal in ihrer 70jährigen Geschichte eine Sonderkonferenz zum Thema des Antisemitismus abhielten.
Die Ausstellung selbst sowie der dazu ausgearbeitete Katalog, mit den Texten von Laurent Moyse, geben reichlich Aufschluss über den Sachverhalt, also über Fakten und Daten zu dem was den Juden Luxemburgs in diesen Kriegsjahren widerfahren ist. Näher beleuchtet werden die zunehmende jüdische Immigration, die ersten antisemitischen Auswüchse, die fortschreitende Ausgrenzung, Flucht, Vertreibung, Deportation, Arbeitslager und letztendlich die Vernichtungspolitik. Zusätzlich erfährt der Besucher mehr über die Rolle welche der Rabbiner Robert Serebrenik und Alfred Oppenheimer (Leiter des Ältestenrates der Juden) in den Kriegsjahren übernahmen.
Vorliegendes Lehrerbegleitheft hat zum Ziel, Lehrende dabei zu unterstützen das Schicksal der Juden Luxemburgs von 1940 bis 1945 in das Curriculum zu integrieren und darüber hinaus sowohl die Entstehung des Antisemitismus als auch die heutige Situation im Bereich der Judenfeindschaft und Judenverfolgung zu beleuchten.
Das Schicksal der Juden während des Zweiten Weltkrieges kann, für Schüler von heute, vor allem, als Beispiel von immer wieder auftretenden Ausgrenzungsstrategien wahrgenommen werden. Das Tagesgeschehen liefert diesbezüglich genügend Stoff zu den verschiedenen Diskriminierungsformen, wie Rassismus, Homophobie, Sexismus usw. Fremdenfeindliche, islamfeindliche, antisemitische, homophobe oder sexistische Aussagen bleiben leider auf der Tagesordnung. Darüber hinaus kommt es immer wieder zu religionsbedingten Aggressionen und im Januar 2015 haben die schon erwähnten barbarischen Gewaltakte in Paris und Kopenhagen weltweit für Aufregung gesorgt.
Indem Lehrende helfen die Parallelen aufzuzeigen zwischen den Vorfällen im Zweiten Weltkrieg und dem Tagesgeschehen tragen sie zu einem besseren Verständnis von der Komplexität von Ausgrenzung und Unterdrückung bei und helfen bei der Entwicklung von Instrumenten und Strategien gegen soziale Ungerechtigkeiten.
In diesem Sinne wünschen die Verantwortlichen von MemoShoah und vom Musée national de la Résistance eine fruchtbare Arbeit mit den Ihnen anvertrauten Jugendlichen.
Inhalt:
- Menschlichkeit und Menschenrechte
- Ausgrenzung als Phänomen der Mehrheitsgesellschaft
- Auftrag der Schule
- Identität der Lernenden
- Hintergrundwissen zur jüdischen Geschichte
- Juden im Mittelalter / Entstehung von Klischees
- Hartnäckige Vorurteile
- Die Emanzipation der Juden in Europa
- Auf dem Weg zum Holocaust
- Holocaust
- Nachkriegszeit
- Antisemitismus und seine aktuellen Erscheinungsformen
- Antisemitismus in der extremen Rechten
- Der Nahostkonflikt, die Kritik an Israel und der Antisemitismus
- Nahostkonflikt und Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft
- Antisemitismus bei Jugendlichen
- Feindbild Islam
- Verantwortung für Erziehende
- Quellenangabe
- Kontakt
Menschlichkeit und Menschenrechte
„Lieber Lehrer: ich bin Überlebender eines Konzentrationslagers. Meine Augen sahen was kein Mensch jemals erfahren sollte: Gaskammern, gebaut von ausgebildeten Ingenieuren, Kinder vergiftet von ausgebildeten Ärzten… Deswegen bin ich skeptisch gegenüber Bildung und Erziehung. Mein Anliegen ist: Hilf deinen Schülern menschlich zu werden.“ (Haim Ginott)
Dieses Zitat belegt in eindringlicher Weise den Auftrag, für die Menschenrechte zu lernen, damit sich im Bewusstsein der Menschen die Überzeugung und Verantwortung für ein „Nie wieder“- für einen humanen Fortschritt niederschlägt.
Theodor W. Adorno formulierte es 1966 folgendermaßen: „ Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“
Vor dem Hintergrund der schrecklichen Ereignisse ist die Menschenrechtsbildung als verstehender und als präventiver Ansatz zu begreifen. Ursachen für Menschenrechtsverletzungen müssen deutlich werden, aber auch die Bedingungen und Ressourcen, die Menschen dazu gebracht haben, Widerstand zu leisten.
Zentrale Fragen sind:
- Wann und wo haben Menschen in erfolgreichen Lernprozessen die gesellschaftliche Wirklichkeit human(er) gestaltet?
- Zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Gründen kann es gelingen oder mißlingen, dass Menschen lernend-gestaltend in ihr Leben eingreifen?
Die Menschenrechtsbildung gliedert sich in drei eng miteinander verwobene Teilgebiete auf:
- Lernen über Menschenrechte; historische und aktuelle Entwicklung und Realisierung der Menschenrechte weltweit;
- Lernen durch Menschenrechte; Organisation von Lernprozessen auf der Grundlage der in den Menschenrechten enthaltenen Werte und Normen (Würde, Freiheit, Gleichheit etc.) ;
- Lernen für Menschenrechte; Vermittlung und Erprobung von Kompetenzen die jeder Mensch braucht, um sich aktiv für Schutz und Förderung von Menschenrechten einzusetzen.
Ausgrenzung als Phänomen der Mehrheitsgesellschaft
Die Forschungen im Bereich von Diskriminierungen zeigen, dass jede Art von Ausgrenzung oder Hass ihren Ursprung darin findet, dass die Mehrheitsgesellschaft sehr gerne eine bestimmte Zielgruppe als Projektionsfläche gebraucht, seien das nun Juden, Ausländer, Islamisten, Homosexuelle usw.; nach dem Motto, „alle Iren haben rote Haare, ich kenne einen“, wird das Kollektiv definiert und pauschal ausgegrenzt. So werden sehr schnell Juden oder Portugiesen, Araber oder … in Anspruch genommen und sozusagen als Stellvertreter für allerlei Böses verantwortlich gemacht.
Auftrag der Schule
Schule hat natürlich gute Möglichkeiten und Voraussetzungen gegen Vorurteile zu arbeiten auch wenn es passieren kann, dass die Aufklärungsarbeit eines Lehrers von einer unüberlegten Bemerkung eines anderen Lehrers wieder vernichtet wird oder, dass die Eltern nicht mitspielen und vollkommen indifferent sind.
Offensichtlich braucht der Mensch Feindbilder; für den einen sind es Asylbewerber, für den anderen sind es rothaarige Frauen, für einen Dritten eine ausländische Nation. Eine Projektionsfläche scheinen viele Menschen für ihren Seelenhaushalt zu benötigen, um die Welt in Gut und Böse einteilen zu können. Trotzdem kann am ehesten Bildung gegen Vorurteile und deren Folgen immunisieren.
Beim Sachverhalt, also dem Leiden der Juden, ist Lehrenden davon abzuraten, auf übertriebene Art und Weise auf Betroffenheit zu setzen, ( hier besteht auf lange Sicht ein Übersättigungsrisiko); über die Betroffenheit und das lieb sein Wollen im Andenken an die Opfer hinaus, sollen vor allem wissenswerte und vernünftige Informationen über das was geschehen ist vermittelt werden.
Das Wichtigste ist es den Jugendlichen den Blick dafür zu schärfen, woran man Rassismus und Totalitarismus in den Anfängen erkennt.
Relevant ist die Vermittlung allgemeiner historischer Kenntnisse und geschichtspolitischer Kontroversen.
Identität der Lernenden
Bei jeder Wissensvermittlung spielt der Weg über die eigene Erfahrungs- und Lebenswelt der Schüler und Jugendlichen eine entscheidende Rolle. Der Vergleich ermöglicht ein besseres Verständnis für den Sachverhalt. Wichtig ist es also den Schüler auch in seiner eigenen Biografie anzusprechen: wo kommt man her, wie wird man definiert, als Luxemburger, als Portugiese, als Kroate,,,, als Katholik, als Jude, als Muslim.
In den Familiengeschichten unserer Schüler spielen häufig Migrationen und Neudefinitionen von Identität eine Rolle. Das Thema „Identität“ ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit gegen Vorurteile und Diskriminierung, insbesondere weil sich an Teilen der eigenen Identität immer wieder Diskriminierungen festmachen.
Die Identität die der Mensch durch seine Sozialisation entwickelt, ist von vielen Faktoren bestimmt. (Soziale Herkunft, Ort des Aufwachsens, religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Familie, Hautfarbe, und vieles mehr).
Anhand dieser Faktoren ordnen sich einzelne Menschen bestimmten Menschengruppen zu. Diese Zuordnung kann selbstbestimmt ablaufen, ist aber oft auch fremdbestimmt.
Die Ausstellung kann also über die Frage „Wer ist Jude?“ in der Klasse Gelegenheit geben sowohl zu erklären was man unter jüdischer Identität verstehen kann als auch die Migrationsgeschichten und Selbstdefinitionen im Klassenzimmer wahrzunehmen.
Hintergrundwissen zur jüdischen Geschichte
Warum es bei den Ausgrenzungen immer wieder die Juden trifft, hängt auch damit zusammen, dass es sich bei der Judenfeindschaft um die älteste Tradition der Abneigung und des Hasses in der Geschichte handelt. Zum besseren Verständnis ist für Lehrer ein Basiswissen zur jüdischen Geschichte hilfreich, Wissen welches als Grundlage dafür dienen kann, sich mit bestimmten Fragen der Judenfeindschaft auseinanderzusetzen.
- Der erste jüdische Krieg : nach dem Aufstand der Juden gegen die römische Besatzungsmacht 66 n.Ch. dauerte es 7 Jahre ehe die Römer die Juden bezwangen, den Tempel in Jerusalem zerstörten und die Juden in alle Richtungen vertrieben;
- Den Kern des christlichen Judenhasses bildete der sogenannte Gottesmordvorwurf wobei übersehen wurde, dass nicht die Juden, sondern die römische Besatzungsmacht Jesus zum Tode verurteilt und ans Kreuz geschlagen hatte;
- Erst 1965 strich das zweite Vatikanische Konzil den Gottesmordvorwurf aus der Liturgie und verurteilte alle Formen des Antisemitismus.
Juden im Mittelalter / Entstehung von Klischees
- In den Geschichtsbüchern stehen allzu oft die Verfolgungsgeschichten gegen die Juden (Kreuzzugspogrome) im Mittelpunkt und die langen Phasen des Zusammenlebens und die Emanzipation und der aktive Beitrag der Juden zur europäischen Geschichte werden minimiert; so wird eine Verfolgungskontinuität vom Mittelalter bis zum Holocaust suggeriert. Daraus folgt ein historischer Fatalismus, wonach eine „Normalität“ ein friedliches Zusammenleben von Juden und Mehrheitsgesellschaft, in Europa gar nicht möglich gewesen wäre jedenfalls nicht dauerhaft.
- Diese Perspektivenverengung führt dann auch zu Verzerrungen der historischen Wahrheit, wie z.B. die Vorstellung, dass die Juden im Mittelalter ausschließlich im Ghetto lebten;
- Im Zentrum problematischer Darstellungen in den Schulbüchern steht sehr oft das Klischee vom „Geldjuden“; so erscheint in einem Geschichtsbuch ein Bild mit dem Hinweis auf einen „jüdischen Gelwechsler“ während es sich in Wirklichkeit um einen christlich flämischen Geldverleiher handelt; eine Reihe weiterer solcher falschen Darstellungen bewirken die Annahme die Juden hätten das Geldgeschäft beherrscht während es die Katholiken waren. So hat sich das Klischee von der exklusiven Beziehung der Juden zum Geld so sehr in Autorenköpfen festgesetzt, dass sie in Abbildungen Juden sahen wo gar keine waren.
- Als dann aber die Tatsache dazu kam, dass den Christen das Zinsnehmen verboten wurde und den Juden das Ausüben verschiedener Berufe (Ausschluss aus Zünften), wurden Geldgeschäfte und Pfandleihe zu einer Nische für die Juden. Davon ausgehend werden die Pogrome erklärt :
„Wenn zahlreiche Bürger einer Stadt bei jüdischen Mitbürgern verschuldet waren, konnte man mit Parolen wie „Brunnenvergiftung“, „Hostienschändung“ oder „Gottesmord“ Juden erschlagen und seine Schulden tilgen“ (deutsches Geschichtsbuch „Rückspiegel“ 1995). Auch im Brockhaus (2004) findet man dieselbe Logik: „Die hierdurch bewirkte Verschuldung breiter Bevölkerungskreise verschärfte die bereits bestehenden Aversionen, die sich dann von Zeit zu Zeit in furchtbaren Judenverfolgungen und –vertreibungen niederschlugen …“ („Juden-Stellung im Mittelalter“).
Das erwähne Zinsverbot für die Christen wurde umgangen und missachtet, auch von der Kirche selbst; erstens waren weder alle Geldverleiher Juden noch waren alle Juden Geldverleiher und zweitens betrieb nur eine Minderheit von ihnen Geldgeschäfte, die meisten waren im Kleinhandel tätig, noch weit bis in die Neuzeit hinein. (Soziale Schichtung und berufliche Betätigung der Juden im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit siehe auch www.judengasse.de).
- Die Macht des Stereotyps liegt in der Einfachheit des Erklärungsmusters.
Darin transformiert sich das Wucherklischee vom damaligen Vorurteil der Anklage zum heutigen Vorurteil der Erklärung (die Juden wurden dazu gezwungen,,,): es rechtfertigt nicht mehr die Gewalttaten – die werden natürlich verurteilt – doch es erklärt sie scheinbar.
- Antijudaismus bezeichnet die religiöse, christliche Judenfeindschaft welche
teilweise noch in aktuelle Formen des Antisemitismus einfließt. Verschwörungstheorien, die sich in Anwandlungen bis heute halten, spielten eine große Rolle. Die Juden seien mit dem äußeren Feind, und falls es einen solchen nicht gebe, mit dem Teufel – dem Antichrist – im Bunde. Zu den kirchlich-religiösen gesellten sich bald auch politisch-wirtschaftliche Motive, die neben dem religiösen Eifer ausschlaggebend waren für die Verfolgung der Juden.
- Der Kosakenaufstand (1648) beim dem die Kosaken (freie Krieger) mit Hilfe
von ukrainischen Bauern den polnischen Truppen schwere Niederlagen beibrachten, markiert den Beginn massenhafter gewalttätiger Ausschreitungen gegen die osteuropäischen Juden; die Juden, die als Verwalter, Pächter, Schankwirte und Steuereintreiber im Dienste der polnischen Magnaten standen oder als Händler in den Städten lebten, waren in den Augen der ukrainischen Bauern und Stadtbewohner Repräsentanten der polnischen Adelsherrschaft.
Hartnäckige Vorurteile
Vorurteile wie „die Juden haben zu viel Einfluss in den internationalen Finanzmärkten“, (laut einer Umfrage der Anti-Defamation League von Mai 2007 glaubten das noch 25% der Deutschen) haben ihren Ursprung im Spätmittelalter.
Eines der geläufigsten antisemitischen Vorurteile ist das des „reichen Juden“. Von den antisemitischen Theoretikern des 19.Jahrhunderts über Hitler bis zu den heutigen Rechtsextremen spielt der Stereotyp der „Überfremdung“ der Wirtschaft durch die Juden eine zentrale Rolle in der antisemitischen Propaganda.
Die Berufsstruktur der jüdischen Bevölkerung war weit differenzierter als es allgemeinen Vorstellungen entspricht. In der Weimarer Republik waren Juden nur in wenigen Spezialbranchen überrepräsentiert wie etwa im Viehhandel, in der Konfektions- und Schuhbranche sowie im Metall- und Elektrohandel und die 1929 einsetzende Wirtschaftskrise traf Juden ebenso hart wie Nichtjuden.
Dies bewirkte, dass sich viele Juden aus dem Bankgewerbe zurückzogen.
Die Beschäftigungszahlen von Juden im Bank- und Börsenwesen ging von 21,9% im Jahre 1882 auf 3,8% im Jahre 1925 zurück und fiel bis 1933 auf 2%. Gegenteilige Behauptungen waren Bestandteil der antisemitischen Propaganda. Bürger jüdischen Glaubens verteilen sich heute auf alle Berufssparten.
Die Emanzipation der Juden in Europa
Emanzipation der Juden bezeichnet jenen Prozess im Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft, der die rechtliche und soziale Integration der Juden zum Ziel hatte. Vorausgegangen waren innerjüdische und religionsübergreifende, aufklärerische Debatten, die die Trennung von Kirche und Staat und Gleichberechtigung der Religionsgemeinschaften forderten. Diese Bewegung war in allen Zentren der europäischen Aufklärung beheimatet und verständigte sich von Warschau nach Florenz und von Lissabon nach Stockholm. John Locke postulierte „Weder Heide , noch Mohammedaner, noch Jude“ dürften wegen ihrer Religion von den Bürgerrechten ausgeschlossen werden. Der Weg von einer ausgegrenzten religiösen Randgruppe zu einer integrierten Gruppe mit gleichen Rechten und Pflichten verlief in allen europäischen Ländern im Zickzackkurs. Ab 1781wurden in der österreichischen Habsburger-Monarchie erste Toleranzgesetze für Juden erlassen. In der Französischen Revolution wurden nach öffentlichen Auseinandersetzungen erstmals den Juden gleiche Rechte zuerkannt und in Preußen wurden die Juden mit der Reform von 1812 erstmals als Staatsbürger anerkannt. Die Romantik mit ihren antiaufklärerischen, nationalen Gemeinschaftsvorstellungen brachte jedoch erneut Vorurteile gegen Juden auf und es kam 1819 zu gewalttätigen antijüdischen Ausschreitungen. In den 40er-Jahren gewannen Liberale, die sich für die Emanzipation einsetzten, an politischem Gewicht, und so wurden die bürgerlichen Rechte von Juden in den europäischen Revolutionen von 1848 zu einem zentralen politischen Thema. In der Frankfurter Nationalversammlung, in Dänemark, England und Italien wurde die Gleichberechtigung der Juden beschlossen. Nach erneuten Rückschlägen wurde die Emanzipation der Juden erst 1871 in der Verfassung des neugegründeten Deutschen Reiches offiziell anerkannt. Leider setzte schon 1879 mit der antisemitischen Bewegung eine neue Form der Judenfeindschaft ein welche von Deutschland ausgehend sich schnell in Europa ausbreitete.
Es war auch diese antisemitische Stimmung die den Wiener Publizisten Theodor Herzl dazu brachte in seinem Buch „Der Judenstaat“ den Gedanken einer jüdischen nationalen Heimat populär zu machen. 1897 tagte in Basel der Erste Zionistenkongress. Zionismus verstand sich als jüdische Antwort auf die verweigerte Emanzipation der Juden in vielen Staaten Europas. Der Zionismus war in verschiedene religiöse und kulturelle Richtungen gespalten und er war, wegen der Pogrome und antisemitischen Übergriffen in Osteuropa, dort stärker verankert als im Westen, (was sich aber nach dem Holocaust ändern sollte). Selbst wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht nach Palästina/Israel auswanderten, so entwickelten viele Juden eine enge emotionale Bindung an das Land Israel, das ihnen das Gefühl einer sicheren Zufluchtsstätte gab. Doch, die rezenten antisemitischen Vorkommnisse in Frankreich, besonders die tödlich endende Geiselnahme im jüdischen Pariser Supermarkt (Januar 2015) hatten eine Reihe von Auswanderungen französischer Juden zur Folge.
Auf dem Weg zum Holocaust
Wie vorhin erwähnt hatte sich schon, allen Emanzipationsbewegungen zum Trotz, am Ende des 19.Jahrhunderts wieder eine starke antisemitische Stimmung in Europa breitgemacht. Vielen Historikern nach, fielen dann im Ersten Weltkrieg noch verbliebene entscheidende Schutzmechanismen gegen den Antisemitismus. In Deutschland führte die beschämende Niederlage dazu, dass viele Menschen bereit waren, in den Juden einen Sündenbock zu sehen. Sie seien der Grund für die Niederlage Deutschlands gewesen und hätten danach dem Wiederaufstieg im Wege gestanden. Nach der Niederlage an der Westfront verbreiteten Nationalisten das Gerücht, dass Verräter wie Sozialisten und Juden Deutschland den Dolchstoß von hinten versetzt hätten.
Durch die Kriegsniederlage verschärfte sich Adolf Hitlers Judenfeindlichkeit zusätzlich und schon 1919 drückte er sich dahingehend aus, dass Deutschland nur durch die „Entfernung“ der Juden zu retten sei. Anfang der 1920-er Jahre war er davon überzeugt, dass die Geschichte ein ständiger Kampf zwischen verschiedenen Rassen sei und, dass Deutschland letztendlich einen neuen Krieg werde ausfechten müssen um die Sowjetunion und die Juden, die hinter ihr standen, zu zerstören.
Die Verbitterung nach dem Ersten Weltkrieg, eine Reihe von innerdeutschen Krisen sowie die kumulative Radikalisierung unter Hitler führten dazu, dass solche hasserfüllten Ideen auf fruchtbaren Boden fallen konnten und schließlich ein Programm der systematischen Ausrottung der Juden heranwachsen ließen.
Holocaust
Der Holocaust wird oft vor dem Hintergrund seiner Einzigartigkeit als systematische, bürokratisierte und industrialisierte und doch von einem irrationalen Ressentiment getragene Massenverfolgung und Massenvernichtung thematisiert; man kann ihn jedoch auch als Teil der Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus in Europa sehen.
Der Holocaust, dieser „Zivilisationsbruch“ ging zwar maßgeblich vom „Dritten Reich“ aus und konnte nur im Zuge des nationalsozialistischen „Vernichtungskrieges“ verwirklicht werden, war aber zugleich begleitet von der aktiven Beteiligung bzw. der Gleichgültigkeit zahlreicher anderer Staaten und Gesellschaften. Es bestand eine sogenannte „Volksgemeinschaft“ bei der Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Nachbarn. Der Antisemitismus war – auch schon zu Zeiten der Weimarer Republik – ein Alltagsphänomen und zeigte sich in vielen Ländern Europas als Teil des damaligen Zeitgeists.
Inwiefern es Unterschiede beim Antisemitismus in den einzelnen europäischen Ländern gab und inwieweit sich der der Antisemitismus durch den Holocaust verändert hat, bleibt eine viel diskutiert Frage.
Nachkriegszeit
Bezeichnend für die Tragweite des Antisemitismus in verschiedenen Ländern: nach 1945 war für 50000 jüdische Überlebende ihre Rückführung nach Osteuropa nicht möglich aufgrund der Vernichtung ihrer Gemeinden und des dort herrschenden Antisemitismus. Sie verblieben in eigens eingerichteten Lagern in ehemaligen Kasernen, Lazaretten, Krankenhäusern, Sanatorien, Schulen, Arbeitersiedlungen etc. von denen das letzte erst 1957 geschlossen wurde. Die deutsche Bevölkerung begegnete den Insassen dieser Lager mit erheblichen Vorurteilen. Hier mischten sich die Folgen der NS-Propaganda gegen die „Untermenschen“ mit Fremdenfeindlichkeit und der Abwehr von Verantwortung gegenüber den Opfern der NS-Herrschaft.
Die Rückkehr in ein „normales“ Leben wird von vielen Betroffenen als ein Vorgang beschrieben der von der Abwehr und Rückkehr der traumatischen Erinnerungen geprägt war, sowie von einer Kluft zwischen Überlebenden und ihrem Umfeld, das diese kaum beschreibbare Erfahrung nicht teilte.
Auch trafen viele Rückkehrer auf Ressentiments und verschlossene Türen, etwa wenn sie versuchten ihr „arisiertes“ Eigentum zurückzubekommen. Während der Umbruchprozesse und den Macht- und Verteilungskämpfen der Nachkriegszeit manifestierte sich der Nachkriegs-antisemitismus. Erst nach und nach erlangten Überlebende eine gewichtige öffentliche Stimme und durften ihre Erfahrungen in Schulen und in Texten weitergeben; im Rahmen eines historischen Wandlungsprozesses wurde dem Leid der Überlebenden und dem Andenken der Ermordeten in vielen Staaten eine breitere gesellschaftliche Anerkennung zuteil.
Antisemitismus und seine aktuellen Erscheinungsformen
Antisemitismus ist ein Sammelbegriff, mit dem verschiedene Äußerungen und Haltungen bezeichnet werden, die sich gegen Juden als Juden richten und auf stereotypen Annahmen und Vorurteilen beruhen. Feindbilder gegen Juden besitzen eine lange Tradition und traten zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Ausprägungen auf. Zur Kennzeichnung unterschiedlicher Ursachen und Kontexte werden zu Antisemitismus Beifügungen gebraucht wie antik, christlich, völkisch oder rassistisch.
Um aktuelle Erscheinungen von Judenfeindschaft unterscheiden zu können, ist es sinnvoll, vier Grundphänomene voneinander abzugrenzen:
- der christliche Antijudaismus; hier vertritt das Christentum einen alleinigen Heilsanspruch gegenüber dem ihm historisch vorausgehenden Judentum;
- der Rassenantisemitismus; er entstand im 19.Jahrhundert und hier wurden nun Juden nicht mehr über ihre Religion definiert, sondern als Volk, Nation oder Rasse; dieser Antisemitismus ist eine Weltanschauung welche die Juden, für alle sozialen, politischen und kulturellen Probleme der Moderne verantwortlich macht; Der Rassenantisemitismus wurde im Nationalsozialismus zur Staatsdoktrin und mündete in der Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden, der SHOAH.
- Seit 1945 gibt es als dritte Erscheinungsform den sekundären Antisemitismus: nicht trotz sondern wegen Auschwitz werden Juden gehasst; diese Judenfeindschaft reagiert auf den Völkermord, indem sie ihn leugnet oder indem die Schuld auf Juden projiziert wird und aus Opfern Täter gemacht werden. Juden wird unterstellt, sie würden sich am Holocaust bereichern, während unschuldige nicht-jüdische Deutsche büßen müssten. Dieser sekundäre Antisemitismus speist sich aus Gefühlen der Schuld- und Schamabwehr und richtet sich gegen Entschädigungs- und Wiedergutmachungszahlungen. Die Holocaust-Leugnung ist die extremste Form des sekundären Antisemitismus.
- Antizionismus, die vierte Erscheinungsform der Judenfeindschaft, bezeichnet verschiedene religiöse und politische Ansichten, die sich gegen die jüdische Nationalbewegung – den Zionismus – und den Staat Israel richten. Antizionistische Äußerungen müssen nicht, können jedoch antisemitisch sein. Kritik an der Politik Israels und dem Zionismus wird dann antisemitisch, wenn sie Vorurteile gegenüber Juden verwendet oder zum Hass auf Juden anstachelt. Um Antisemitismus unter dem Vorzeichen von Antizionismus kann es sich auch handeln, wenn die Kritik an Israel andere Maßstäbe ansetzt als an andere Staaten. Antizionismus trat 1948 (nach der Staatsgründung Israels) zuerst vor allem in den sozialistischen Staaten Osteuropas auf, in denen es zu antijüdischen Kampagnen, Schauprozessen und Hetze kam. In den arabischen Staaten hat der Nahostkonflikt wesentlich dazu beigetragen, dass sich antisemitische Stereotype aus Europa verbreiten konnten.
Antisemitismus in der extremen Rechten
Die Feindschaft gegen Juden ist im Rechtsextremismus von grundsätzlicher Bedeutung. Antisemitismus ist eine überzeitliche Konstante in den verschiedenen rechtsextremen Strömungen, verbindet verschiedene Neonazi-gruppen und ist Bindeglied zwischen Rechtsextremen und Islamisten. Der rechtsextreme Antisemitismus äußert sich in Propaganda- und Beleidigungsdelikten, Volksverhetzung, Friedhofsschändungen, Brandstiftung bis hin zu brachialer Gewalt gegen Personen und Institutionen.
Der Nahostkonflikt, die Kritik an Israel und der Antisemitismus
Einer der Gründe für das Wiederauflodern einer gewissen Judenfeindschaft ist zweifellos der Nahostkonflikt. Dieser Konflikt schwelt seit der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948, wobei die Araber damals sowohl eine gleichzeitige Gründung eines palästinensischen Staates als auch die Anerkennung des Staates Israel ablehnten.
Nach Jahrzehnten voller Gewalt ist der israelisch-palästinensische Konflikt noch immer nicht gelöst. Immer wieder kommt es zu kriegerischen Auseinandersetzungen, (zuletzt im Sommer 2014), zahlreiche Friedensverhandlungen führten nur phasenweise zu einem Waffenstillstand. Offene Streitpunkte bleiben in erster Linie nach wie vor der israelische Siedlungsbau, der Grenzverlauf zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten sowie die Frage um einen eigenen Palästinenserstaat. Es scheint als gelänge es den Hardlinern von beiden Seiten immer wieder eine längerfristig friedliche Gesamtlösung in der Region zu verhindern. Hierbei spielen u.a. sowohl die innerpalästinensischen Auseinandersetzungen zwischen der radikalislamistischen Hamas-bewegung und der gemäßigteren Fatah eine gewichtige Rolle als auch die unterschiedlichen Haltungen von ultra-orthodoxen und säkularen Juden sowie die aggressive Siedlungspolitik der israelischen Regierung.
Jedenfalls drängt sich für Lehrer, auf Grund der Komplexität dieses Konfliktes, eine nuancierte Betrachtung der Hintergründe und des Verlaufs desselben auf.
Zweifellos gehen aber mit der auftretenden Kritik an der Politik Israels auch pauschalisierte Judenanfeindungen einher.
Auf der anfangs erwähnten UN-Konferenz formulierte es UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon folgendermaßen: „ Unzufriedenheit mit Israels Politik darf nicht als Entschuldigung für Angriffe gegen Juden genutzt werden.“
Es gibt immer wieder Diskussionen darüber ob und in welcher Form Kritik an Israel legitim und in welchen Fällen sie antisemitisch ist. Betrachtet man jedoch öffentliche Aussagen zum Nahostkonflikt so wird schnell ersichtlich, dass regelmäßig Kritik an israelischen Regierungen in den Medien auftaucht ohne, dass man diesen Stellungnahmen Judenfeindschaft vorwerfen konnte. Es stimmt aber auch, dass angesichts der Tatsache, dass demokratische Öffentlichkeiten unverhüllten Antisemitismus sanktionieren, mancher versucht hat, in Reden über den Nahostkonflikt die Juden zu dämonisieren ohne sich als Antisemit zeigen zu müssen. Aus der politischen und wissenschaftlichen Debatte der letzten Jahre ergaben sich Kriterien um sachliche Kritik an israelischer Politik von judenfeindlicher zu unterscheiden. Danach zeigt sich antisemitische Feindschaft gegen Israel an folgenden fünf Merkmalen.
- Die Phantasie vom jüdischen Kollektivtäter. Die Unterscheidung zwischen Juden und Israelis wird ignoriert und die harten Auseinandersetzungen über die Politik Israels unter Juden selbst (in Israel und in anderen Ländern) wird ausgeblendet.
- Überlieferte judenfeindliche Stereotypen. Der rachsüchtige, hochmütige Jude der sein Volk über andere stellt und die jüdische Weltverschwörung gehören zu diesem Repertoire.
- Ein schwarzweißes Bild des Konflikts. Oft wird der komplizierte und jahrelang andauernde Konflikt auf ein einfaches Täter-Opfer-Schema reduziert und der Anteil den auch palästinensische Eliten an Verschärfung der Auseinandersetzungen haben wird ausgeblendet.
- Das zweifache Maß. Antisemitische Kritiker messen das Handeln israelischer Regierungen mit anderem Maß als das palästinensischer Institutionen und anderer Staatsführungen.
- Täter-Opfer-Umkehr. Judenfeindliche Kritik an Israel zeigt sich oft als Versuch, mit einem Schuldgefühl fertig zu werden, welches die Erinnerung an den Holocaust auslöst. In keinem anderen Konflikt werden so viele Vergleiche zum nationalsozialistischen Deutschland laut. Deutsche Geschichte wird in den Nahen Osten projiziert; Nachkommen der Nazi-opfer werden als Täter von heute gesehen und so könnte man die historische Bilanz als ausgeglichen betrachten.
Wer sachbezogen kritisiert, sollte sich an den W-fragen orientieren: Wer hat was, wann, wo und wie getan?
Nahostkonflikt und Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft
Der Nahostkonflikt polarisiert die Öffentlichkeit auch in allen anderen Ländern.
Mit der Eskalation der Gewalt In Israel und Palästina kam es in Europa
(besonders in Deutschland und Frankreich) zu verbalen und physischen Angriffen gegen Personen und jüdische Einrichtungen. Ganz ähnlich wirkten schon die Kriege in Afghanistan, Irak und im Libanon; angesichts ihrer starken Identifikation als Araber und/oder als Muslime betrachten sich viele jüngere Migranten aus arabischen Familien als persönlich und direkt Betroffene. Der Rückzug auf Religion oder Herkunftsnation als Quelle individueller und kollektiver Identität ist umso stärker je weniger sie sich in ihrer neuen europäischen Heimat akzeptiert fühlen. Viele leben im neuen Land unter prekären Bedingungen. In dieser Benachteiligungs-verarbeitung spielen sehr schnell wieder die Vorbehalte gegen Juden eine Rolle. Junge Deutsche, Franzosen und andere Europäer sowie Jugendliche aus muslimischen Einwanderfamilien teilen judenfeindliche Ressentiments z.B. bei der Aussage europäische Gesellschaften ließen sich wegen ihrer Schuldgefühle in der Judenfrage von jüdisch-israelischer Seite erpressen.
Antisemitismus bei Jugendlichen
Was tun wenn der Ausruf „du Jude“ ein geläufiges Schimpfwort ist? Wenn Jugendliche von jüdisch-amerikanischer Weltverschwörung reden? Wenn ein Jugendlicher mit arabischem Migrationshintergrund meint die Juden machten mit den Palästinensern das, was ihnen selbst im Holocaust angetan wurde?
Vor dem Hintergrund der Geschichte der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden ist besondere Sensibilität geboten, wenn sich Haltungen, Äußerungen oder Handlungen gegen Juden richten. Antisemitische Aussagen sind – im Sinne einer Verantwortung für die politische Kultur und für die Sicherheit von Juden- nicht einfach hinnehmbar. Wer pädagogisch reagieren will, muss jedoch auf Dialog setzen. Zunächst kommt es darauf an die Aussagen von Jugendlichen differenziert wahrzunehmen.
- Nur selten sind geäußerte antisemitische Stereotype und Argumentationen Elemente konsistenter politischer Weltbilder, z.B. als Bestandteil nationalistischer und rechtsextremer Ideologien oder bestimmter Spielarten des politischen Islamismus. Wenn jedoch eine übergreifende politische Orientierung vorliegt, muss sich Bildungsarbeit umfassender auf die Auseinandersetzung mit den politisch-weltanschaulichen Grundorientierungen einlassen.
- Formen von Nationalstolz und verschwörungstheoretische Denkweisen bieten Anschlussstellen für antisemitische Argumentationen. Hier sind grundlegende Angebote politischer Bildung gefragt, wie z.B. Diskussionen über nationale Identifikationen, Vorstellungen über Gesellschaft und Gemeinschaft, Erinnerungspolitik, Einschätzungen des Nahost-Konflikts, der weltpolitischen Rolle der USA und des Prozesses der Globalisierung.
- Wahrscheinlicher als ein relativ konsistenter Antisemitismus ist die Verbreitung einzelner Stereotype oder der Gebrauch von antisemitischen Aussagen als Provokation gegenüber Lehrenden. Das soll man berücksichtigen, es darf jedoch nicht zu einer Ignoranz gegenüber dem Inhalt der Äußerungen führen. Judenfeindliche Aussagen sind nicht beliebig.
- Die Verwendung des Wortes „Jude“ als Schimpfwort muss nicht notwendigerweise gegen Juden gerichtet sein, ist jedoch folgenreich, da sie zu einer Negativkonnotation des „Jüdischen“ beiträgt.
- Unter Jugendlichen ist die Annahme einer Differenz zwischen „ihnen“ und „den Juden“ weit verbreitet; Die komplexen Fremd- und Selbstbilder über das „Jüdische“ und das „Eigene“ fordern die Bildungsarbeit, Voraussetzungen für einen reflexiven Blick auf die Hintergründe von nationalistischen, ethnisierenden und religiösen Konstruktionsprozessen kollektiver Identität zu schaffen. Hierbei gilt es das Verständnis von Zugehörigkeiten als prinzipiell wählbar und kündbar zu wecken.
Antisemitische Äußerungen sollen also nicht pauschal moralisch verurteilt sondern differenziert beantwortet werden mit dem Ziel Jugendliche argumentativ, in einer für sie nachvollziehbaren Weise, davon zu überzeugen, dass es keine guten Gründe für Antisemitismus gibt. Relevant ist auch die Vermittlung allgemeiner historischer Kenntnisse und geschichtspolitischer Kontroversen.
Feindbild Islam
Soll man es als Ironie des Schicksals ansehen, dass mit den zunehmenden Gewaltakten von islamistischen Extremisten, die Muslime sich einem ähnlichen Phänomen ausgesetzt sehen wie vorher die Juden; ohne jegliche Nuancierung wird verallgemeinert, der Islam wird zum Feindbild und alle Muslime werden zu Verdächtigen. Im Dezember 2014 bildete sich in Dresden die Pegida-Bewegung (Patrioten Europas gegen die Islamisierung des Abendlandes.) Diese Bewegung zeigt wie schnell viele Europäer den Muslimen gegenüber Hass-aussagen machen, welche große Ähnlichkeit haben mit Aussagen die vor 80 Jahren die Juden als Zielscheibe hatten.
Als Feindbilder lassen sich pauschal negative Vorstellungen über bestimmte Bevölkerungsgruppen bezeichnen, die Wahrnehmung, Gefühle und Handeln von Menschen beeinflussen können. Merkmal ist zudem die Reduktion einer komplexen Realität auf eine bipolare Struktur, die schematisch ein „wir“ und „sie“ konstruiert. Das Feindbild Islam ist keineswegs neu: seine historischen Wurzeln reichen zurück bis ins 8.Jahrhundert, als sich unter dem Schock der islamischen Expansion das europäische Angstbild vom Islam als einer Religion des Schwertes etablierte. Damit einher ging die Verteufelung des Propheten und Religionsstifters Mohammed als Antichrist, die sich in vielen mittelalterlichen Polemiken wieder findet. Der 11.September 2001, der Mord am niederländischen Regisseur Van Gogh (2004), Attentate in London und Madrid, die Ausrufung des Islamischen Staates, regelrechte Hinrichtungen von Journalisten und Mitgliedern von Hilfsorganisationen und zuletzt im Januar 2015 die Morde in der Redaktion von Charlie-Hebdo und in einem jüdischen Supermarkt brachten und bringen den Islam immer wieder in den Mittelpunkt der medialen und öffentlichen Debatten.
Dem „Westen“ mit all seinen Errungenschaften wird als negatives Gegenbild der Islam gegenübergestellt, der als rückständig, irrational und gewaltbereit dargestellt wird. Der Abwertung von Muslimen als „Andere“ kommt dabei eine positive identitätsstiftende Funktion für die „Eigengruppe“ zu. Oft wird jedes negative Handeln von Muslimen, oder Menschen die als solche wahrgenommen werden, auf ihre Religion zurückgeführt, während man getauften Europäern durchaus zugestehen würde, dass ihre Identität als Individuen nicht einzig vom Katholizismus oder Protestantismus,, bestimmt wird. Das verbreitete Argumentieren mit Koranzitaten suggeriert zudem, der Islam sei eine monolithische und geschichtslose Religion, die in den letzten 1400 Jahren keine Entwicklung durchgemacht habe, während „wir“ das Zeitalter der Aufklärung durchlaufen haben und in der Moderne angekommen sind. Ein wesentlicher Aspekt des Feindbildes Islam ist die Phantasie einer drohenden Dominanz von Muslimen in unseren Gesellschaften (die europaweit schätzungsweise 6% der Gesamtbevölkerung ausmachen) und damit Überfremdung. Die häufige Forderung, Muslime mögen sich zu unseren demokratischen Kulturen und dem Rechtsstaat bekennen, impliziert, dass es sich bei ihnen dem Wesen nach um illoyale Bürger handelt. Einschlägige Titelblätter politischer Magazine führen im wortwörtlichen Sinne zu Feind-Bildern, die Einfluss auf den Umgang mit Muslimen in den Gesellschaften ausüben.
Verantwortung für Erziehende.
Vorliegende Betrachtungen verdeutlichen, dass beim Aufbau von Feindbildern unterschiedliche soziale, kulturelle und psychologische Faktoren eine Rolle spielen. Nelson Mandela hat nicht umsonst behauptet, dass das wichtigste Instrument gegen Aufkommen von Ausgrenzungen und Gewaltbereitschaft, die Erziehung ist. Eltern, Schulen und Lehrern fällt somit eine besondere Verantwortung zu wenn es darum geht Heranwachsenden, über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, Orientierungshilfen zu bieten für ein nuanciertes Verständnis vom komplexen heutigen Alltag und für eigene Gestaltungsmöglichkeiten einer vor allem menschlichen Zukunft.
Quellenangabe :
Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart ( Zentrum für Antisemitismusforschung / tu.berlin)
Robert Hoeniger : « Zur Geschichte der Juden Deutschlands im frühen Mittelalter « in Zeitschrift für die Geschichte der Juden
Wolfgang Borchert/Reinhardt Möllner, Jüdisches Leben in christlicher Umwelt, -Cornelsen Berlin 1991
Jakob Katz : Aus dem Ghetto in die bürgerliche Gesellschaft (Frankfurt a.M. 1986)
Albert Scherr/Barbara Schäuble : « Ich habe nichts gegen Juden, aber.. » (Berlin 2006)
Feindbild Islam oder Dialog der Kulturen ; (Hrsg. Jochen Hippler, Andrea Lueg, Hamburg)
Antisemitismus und radikaler Islamismus (Hrsg. W.Benz,J.Wetzel, Essen 2007)
Woher kommt Judenhass ? Was kann man dagegen tun ? (Verlag an der Ruhr)
Folgende Links bieten zusätzliche Details für eine vertiefende Aufarbeitung im Unterricht :
www.lernen-aus-der-geschichte.de
www.menschenrechte-in-der-schule.de
www.projekte-gegen-antisemitismus.de
Kontakt:
Musée national de la Résistance – +352 54847221
www.musee-resistance.lu – www.facebook.com/MuseeResistance –
MemoShoah asbl : Jim Goerres, Pädagogischer, Koordinator Wanderausstellungen ; Claude Marx, témoin direct (ancien enfant caché)